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Medizinrecht: Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung im Arzthaftungsprozess – Der „echte Entscheidungskonflikt“ BGH, Urteil vom 07.12.2021 – VI ZR 277/19

Wurde ein Patient im Vorfeld einer ärztlichen Behandlung nicht ordnungsgemäß aufgeklärt und treten im Nachhinein Gesundheitsschäden auf, kann der Aufklärungsfehler eine Haftung des Arztes für etwaige Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche des Patienten begründen.

Kommt es diesbezüglich zum gerichtlichen Verfahren, stellt sich die Frage, wer nachweisen muss, dass eine Aufklärung vorschriftsgemäß erfolgt ist.

 

Themen: #Privatrecht #Medizinrecht

Erschienen am 16.11.2025

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Rechtliche Grundlagen:

In einem gerichtlichen Prozess hat nach § 630h Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich der behandelnde Arzt zu beweisen, dass eine Aufklärung zutreffend stattgefunden hat.

Genügt die Aufklärung den gesetzlichen Anforderungen nicht, kann sich der Arzt aber nach § 630h Abs. 2 S. 2 BGB darauf berufen, der Patient hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Behandlung eingewilligt (sog. hypothetische Einwilligung).

Die Beweislast für die hypothetische Einwilligung trifft den Arzt – aber erst dann, wenn der Patient zuvor plausibel macht, er hätte im Falle der richtigen Aufklärung vor einem sog. echten Entscheidungskonflikt gestanden – also einem „inneren Konflikt“ über die Frage der Durchführung des Eingriffs. 

Der Bundesgerichtshof stellte sich im Jahr 2021 der Frage, welche Anforderungen an die dahingehende Darlegungspflicht des Patienten zu stellen sind (BGH, Urteil vom 07.12.2021 – VI ZR 277/19).

 

Zum Fall:

Im Rahmen einer Knie-Operation wurde der Klägerin, einer damals 56-jährigen Frau, ein Doppel-Katheter (Schmerz-Katheter, um die Nerven im Knie zu betäuben) gelegt. Unmittelbar nach dem Eingriff litt die Patientin unter Schmerzen sowie einem Taubheitsgefühl und Sensibilitätsstörungen am Fuß, wobei irreparable Nervenschädigungen im linken Unterbein festgestellt werden konnten.

Aus diesem Grund verklagte die Patientin das Krankenhaus sowie die beiden behandelnden Ärzte auf Schadensersatz, wobei sie sich darauf berief, im Vorfeld der OP nicht ordnungsgemäß über bestehende Behandlungsalternativen aufgeklärt worden zu sein.

In den Vorinstanzen wurde die Klage abgewiesen, weil es der Klägerin nicht gelungen sei, einen „echten Entscheidungskonflikt“ darzulegen, woraufhin die Klägerin Revision einlegte.

 

Die Entscheidung des BGH:

Der Bundesgerichtshof (BGH) gab der Revision statt und stellte fest, dass – entgegen der Annahme des Oberlandesgerichts (OLG) in der Vorinstanz – nicht davon ausgegangen werden kann, ein Schadensersatzanspruch der Klägerin sei aufgrund des Einwands der hypothetischen Einwilligung ausgeschlossen.

Im vorliegenden Fall habe es mit dem Einsatz eines einfachen Katheters oder sogar normaler Schmerzindikation risikoärmere, wenn auch weniger effektive, Alternativen gegeben, wobei sich die Aufklärungspflicht nach § 630e Abs. 1 S. 3 BGB auch auf solche Behandlungsalternativen erstrecke. Die Klägerin hatte in der Vorinstanz dargelegt, sie hätte sich bei zutreffender Aufklärung über diese Alternativen in einer „Konfliktsituation“ befunden.

Das OLG habe die Anforderungen, die an den Patienten zur Darlegung eines Entscheidungskonfliktes gestellt werden dürfen, überspannt. Denn das Gericht hat diese unrichtigerweise mit der Erwägung verneint, die Angaben der Patientin würden nicht genügen, um plausibel zu machen, sie hätte sich bei korrekter Aufklärung gegen einen Doppelkatheter entschieden. 

Laut dem BGH sei der Patient aber eben nicht verpflichtet, darzulegen, er hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung auch sicher gegen den Eingriff entschieden. So komme es nicht darauf an, wie der Patient sich tatsächlich final entschieden hätte, sondern nur darauf, dass er bei zutreffender Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre – also ernsthaft zwischen den Behandlungsalternativen abgewogen hätte.

 

Fazit:

Mit der Entscheidung wurde deutlich gemacht: An die Darlegungspflicht des Patienten bei hypothetischer Einwilligung dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. 

Für den behandelnden Arzt dürfte es im Prozess oft schwer sein, seiner Beweispflicht für den Einwand der hypothetischen Einwilligung nachzukommen.

Stefan Schröter

Autor:

Rechtsanwalt Stefan Schröter

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Dr. Bettina Schacht

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